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Spiegelbild

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Wie oft setzen wir Masken auf um anderen zu gefallen, erkennen uns aber oft selbst nicht mehr im Spiegel?!?!

Es ist Sonntagmorgen, eher Sonntagmittag. Ich stehe vorm Spiegel meiner Einzimmerwohnung in Augsburg. In meinem Bett liegt der Barkeeper aus meiner Lieblingsbar. Müde schaue ich in mein Spiegelbild und bin erschrocken. Die Knochen meines Schlüsselbein werden wieder immer sichtbarer. Ich schaue an den Rest meines Körpers runter. Haut und Knochen hätte mein Opa gesagt. Wann genau habe ich das letzte Mal so richtig gegessen, frage ich mich selbst. Ich schaue zurück in den Spiegel und sage leise zu mir: „Jenny, wir hatten doch abgemacht wieder zu leben!“.

 

Ich bin 26 ig Jahre alt und sechs Jahre hungern, kotzen und viele andere Dinge tun um ja nicht „dick“ zu werden, liegen hinter mir. Mein Schönheitsideal damals, so schön und schlank zu sein wie die Models in den Zeitschriften. Warum? Um den Männern zu gefallen. Etliche Klinikaufenthalte, abgebrochene Therapien und immer wieder das gleiche Spiel, die Flucht in die Krankheit. Selbstbestätigung holen in dem die Waage immer weniger anzeigt. Kontrolle erlangen, über meinen Körper: “Das Einzigste was ich in meinem Leben kontrollieren kann!?”

Was als witzige Wette mit meiner damals besten Freundin begann, wurde mir zum Verhängnis. „Wer bis zum nächsten Ponyrennen weniger wiegt, darf teilnehmen.“. Ich wog damals 57 kg, mein gewünschter Erfolg: 40 kg, geschafft. Damals war meine Zuflucht von Zuhause der Ponyhof gewesen und jedes Jahr fand ein Rennen statt, welches ich vier Jahre am Stück immer gewann. Mit meinem letzten Sieg, verlor ich aber alles. Mein Auffangbecken wurde mir von heute auf morgen genommen, denn der Sohn des Reiterhofbesitzers beschloss dass ich gehen sollte. Ich war ihm ein Dorn im Auge da sein Vater auch irgendwie mein Vater geworden war. Also suchte ich mir einen neuen Halt. Die Magersucht.

 

Wir sitzen am Frühstückstisch und mein Cocktailmixer, mit dem ich sowas wie eine Beziehung führte (die Beziehung mit meiner ersten großen Liebe war vor einigen Monaten zuende gegangen), sagte zu mir: „Heute hast du aber guten Appetit, pass aber auf dass es nicht noch mehr auf die Oberschenkel geht. Könntest auch mal mehr Sport machen“. Entsetzt schaue ich ihn an und die Tränen schießen mir in die Augen. Er kannte meine Geschichte und hätte ahnen können was er mit so einem Satz in mir anrichtet. Ich schicke ihn weg - für immer - und esse wieder

 

Etwa zwei Jahre später, ich schau in Rückspiegels des Motorrads. Mein damaliger Freund und ich machen eine Reise mit dem Motorrad von Hannover nach Sardinien. Diese hatte ich ihn zu seinem 30 igesten Geburtstag geschenkt. Sein Traum, nicht meiner. Ich sehe müde und irgendwie wieder so abgehungert aus. In Mitten der wunderschönen Landschaft Italiens, unglücklich. Glücklich kenne ich bis dato auch kaum. Zu sehr noch in mir selbst gefangen. Leise sage ich mir wieder: „Jenny, das wolltest du nicht mehr!“. Ich wollte die perfekte Freundin sein, ihm gefallen, seiner Familie, die mich jedoch nie akzeptierte. Noch auf dieser Reise trennen wir uns. 

 

Drei Jahre später, die 30 ig schon überschritten, ich erblicke mein Gesicht im Spiegel der Umkleidekanine während ich eine Kundin berate. Ich habe eine steile Karriere in meinem neuen Job hingelegt, mehr Verantwortung hier, Weiterentwicklungsprogramm da, bereiste Städte und andere Länder um Schulungen zu geben. Meine letzte ansatzweise in die richtige Richtung gehenden Beziehung, total gegen die Wand gefahren. Wieder diese traurige und ausgelaughte Gesicht. „Falten hast du auch bekommen.“, flüstert ich leise in mich hinein. „Das bist nicht du!“. Meine Flucht war mein Job. Ich arbeite manchmal 10-12 Stunden am Tag, war immer erreichbar. Eine erhoffte Bestätigung die mich ans Ende meiner Kräfte brachte. Am nächsten Tag schließe ich ein anderes Geschäft auf (eins der fünf die ich betreute) und fange ohne Grund an zu weinen. Eine Mitarbeiterin die dazu kommt, fragt mich was los sei. „Ich muss schlafen.“, antworte ich. Drei Tage lang schlafe ich durch. Danach kündige ich.

 

Wieder drei Jahre später, gleiches Spiel, nur anderer Job und anderer Mann. Ich schaue in mein Spielbild, zwar nicht mehr ganz so fremd, denn unterbewusst weiß ich was ich da tue. Nur ist es so schwer alte Gewohnheiten und Muster abzulegen. Zu unsicher ob die neuen Schuhe passen werden oder einfach nur Blasen machen, nur diesmal an einer anderen Stelle. Irgendwann schaffe ich es, nur wann?

 

Heute. Ich stehe auf, gehe ins Bad und schaue in den Spiegel. Zwei leuchtende Augen schauen mich an, die Haare vom Schlaf noch etwas zerkraust. „Du hast dich gut gehalten“ zwinkere ich mir zu, „Und Falten hast du auch noch keine.“

 

Meinen Spiegel nehme ich mir jezte immer zur Hand wenn ich nicht mehr weiter weiß. Ich schaue mir dann selbst tief in die Augen und frage mich: „Bist du das?“.