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Lassen

Die Kunst eines erfüllten Lebens ist die Kunst des Lassens: Einlassen - Weglasssen - Loslassen

Ich sitze in der Bahn Richtung Innenstadt. Mein Arbeitsweg der zwei letzten Jahre. Tag ein, Tag aus das gleiche Spiel. Müde und ausgelaugt in der Bahn sitzen, sich jeden Tag aufs Neue motivieren. Trotzdem hatte ich jeden Tag ein persönliches Highlight, nämlich wenn ich die Treppen am Jungfernstieg hochgefahren bin und so langsam der Anblick der schönen Alster zum Vorschein kam. Meine paar Sekunden Kurzurlaub jeden Morgen. Kurz innehalten, den Ausblick genießen, tief einatmen und sich wenigstens in einer Sache angekommen fühlen. Meiner Heimat, meiner Wurzeln, meiner großen Liebe - Hamburg.

 

Mit gemischten Gefühlen betrete ich zum hoffentlich letzen Mal “meinen Store”. Ahnungslos was mich erwarten wird. Überraschend freundlich werde ich von einer meiner Mitarbeiterin begrüßt. Ich war 6 Wochen nicht da, weil ich einfach nicht könnte. Heute werde ich meine persönlichen Sachen abholen, einen Abschluss finden. Loslassen. Weggelassen hatte ich schon mit der Kündigung.
Der Abend davor. Ich bin eigentlich mit meinen Mädels verabredet. Nochmal ein kleines Abschiedsessen bevor nächste Woche meine Reise ins Abenteuer beginnt. Nur leider macht mein Körper mir einem Strich durch die Rechnung. Schmerzen in der Brust, angespannter Kiefer so dass sich die Spannung durch Nacken und Kopf zieht, Herzrasen. Dazu die Panik, was ist wenn dies bis nächste Woche nicht besser wird. Also beschließe ich früh ins Bett zu gehen und gegebenfalls nach den Termin bei der Arbeit zum Arzt zu gehen. Ich kenne mich ja langsam selbst ganz gut und weiß dass diese Anzeichen die Selben sind wie damals, kurz vor der Kündigung. Daher hoffe ich innerlich dass sie wieder von alleine gehen.
Dies ist die letzte Unterschrift die ich euch leiste!“, ein bisschen belächelnd aber auch ernst gemeint setzte ich meinen Namen unter ein Schreiben welches mir meine ehemalige Mitarbeiterin hinlegt. „Ich bin frei.“, denke ich überglücklich. Ihr werdet mir auch ein kleines bisschen fehlen, überlege ich. Denn so schwer die Zeiten auch teilweise waren, hatte ich auch ein paar Glücksmomente während der letzen zwei Jahren. „Du gibst jedem Menschen einen unglaublichen Vertrauensvorschuss“, sagte mir meine Assistentin noch einige Monate zuvor. „Das bewundere ich.“. Dass dies ein Fehler bei ihr war, wurde mir bloß zu spät bewusst. Trotzdem werde ich daran festhalten. Jeder Mensch der unser Leben betritt, ist für mich ein „weißes Blatt“, die Geschichte wird dann geschrieben. Wie sie ausgeht? Mal gut, mal schlecht. Wie das Leben halt oft ist. Wir lernen ja schließlich nicht nur an den Menschen die uns was Gutes wollen, sondern gerade an denen, die es nicht immer gut mit einem meinen. Mir wird oft gesagt dass ich zu lieb sei. Diese Menschen belächle ich gerne und bin froh dass ich so bin. Eine Freund von mir meinte mal „Jenny, die Welt ist schlecht!“. Er tat mir damals so unendlich leid.
Der Abschied war entspannter als gedacht, überlege ich als ich in der Bahn zurück sitze. Es war ein komisches Gefühl, ein letztes Mal durch das Geschäft zu gehen welches ich mal geleitet habe. Was mir Freude und Leid zu gleich geschafft hat. Anfangs war ich so energiegeladen, voller Tatendrang. „Dein Team ist nicht das Einfachste!“, mit diesem Worten wurde mir der Store vor fast 2 Jahren übergeben. Was das Schwierigste meiner Meinung nach war, ist dass man einfach nicht Mensch sein dürfte. Fast alle trugen eine Maske und jeder hatte Angst sie abzulegen. Als ich damals das erste Mal mein „kleines neues Reich“ betrat, empfing mich soviel Kälte. Ich dachte ich renne gegen Mauern. Diese Distanz schaffte ich tatsächlich abzubauen und das war mein größter Erfolg - an dem ich mich selbst maß, nicht an den Umsatzzahlen wie von der Geschäftsführung vorgegeben. Und das war mein Fehler. Irgendwann musste auch ich meine Maske aufsetzten, um nicht weiter verletzt zu werden. Nur erkannte ich bald mein Spiegelbild nicht wieder.
„Ich kann wieder atmen.“, dachte ich als ich zuhause ankam. Aber trotzdem merkte ich dass dort noch ein kleiner Knoten, fest zugeschnürrt in mit drin saß. Loslassen kam mir wirr in den Sinn, irgendwas hast du immer noch nicht losgelassen. Dich! Du, der mein kleines Herz gestohlen hatte, hattest auch vor ein paar Tagen wieder Kontakt zu mir gesucht. Freundschaftlich - war ja so abgemacht. Du kannst nicht, aber als Freundin willst du mich auch nicht verlieren. Nur sah diese Freundschaft in den letzten Wochen auch eher als - „wir wissen nicht wie wir miteinander umgehen sollen“ - aus. Und deine plötzlich Interesse an dem was ich tue, brachte mich doch mehr aus dem Konzept als gedacht. Weggelassen hatte ich dich, nur noch nicht wirklich losgelassen. Doch irgendwie die Tür noch ein Stück offen gelassen in der Hoffnung du würdest sie noch einmal betreten. „Ich möchte aber so richtig frei sein wenn ich nach Bali fliege!“, sage ich mir selbst als ich mir meine selbstgemachte Pasta auf dem Teller anrichtete. Meine Freundin Larissa hat mal gesagt, esse niemals mit schlechten Gedanken, ansonsten „frisst du es in dich hinein“. Also schob ich meinen Teller beiseite und schrieb ihm eine Nachricht. „Ich kann gerade nicht mit dir befreundet sein...“. Jetzt kann ich nicht mehr und muss loslassen. Und danach. Fühlte ich mich wieder frei. Denn ich hatte es geschafft wieder mal zu mir selbst zu stehen und alle Türen der Vergangenheit zu schließen.
Jetzt sind die Türen wieder offen und ich bin auch bereit das Neue rein zulassen. Während ich diesen Text schreibe, sitze ich in dem Café, indem ich mach meiner Reise arbeiten werde. Eine neue kleine Familie die ich gewonnen habe. Ich bin wieder beim Einlassen angekommen. Heute ist ein wunderschöner Wintertag in Hamburg, wir haben Schnee! Und in zwei Tagen fliege ich in den Sommer. Fast 30 Grad Temperaturunterschied, eine ziemlich krasse Wendung, in allen Bereichen.