· 

Alleine

Was haben Sie denn in ihrem Leben schon so gross auf die Beine gestellt? MICH. Immerwieder.

Es ist 19.35 Uhr, Donnerstagabend und ich sitze nach einem 10 Stunden Arbeitstag endlich auf meinem Spinningrad. Man könnte meinen dass ich nach so einem Tag, an dem ich viel auf den Beinen gewesen bin, eigentlich total kaputt sein müsste. Im Gegenteil, nach dem Spinning steht noch das „normale“ Fitnessprogramm auf dem Plan. Kaputt bekommt mich zu dieser Zeit nichts und niemand. Rechts neben mir meine Freundin Lisa, ihr Schweiß tropft den Boden runter. Mein Tempo das Selbe wie ihres, aber von Anstrengung ist keine Rede. Dafür 1000 Gedanken im Kopf. Er hört einfach nicht auf mit mit mir zu reden, dieser Blödmann. Gedanken über die Arbeit, meine irgendwie komische „Beziehung“ mit Jean und oh Gott, was habe ich noch alles zu erledigen!?!? Alleine sein kann ich kaum ertragen. Ich lebe in Frankfurt und habe viele Menschen um mich herum. Fühle mich aber oft einsam und rastlos. 

 

 

Fünf Jahre später. Ich bin angekommen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich sitze mit Franzi, die ich wenige Stunden zuvor im Flugzeug kennen gelernt habe, beim Sonnenuntergang in Seminyak auf Bali. Ganz ohne Kopfkino und genieße den Ausblick. Gedankenfreiheit, so frei war ich noch nie.
Franzi ist 23 Jahre alt und Biologiestudentin, sie wird die nächsten 5 Monate ein Praktikum auf den Gilis machen um Schildkröten zu erforschen. Obwohl uns soviele Jahre trennen, sind wir uns sehr ähnlich. Sie ist wie ich hier um sich einen ihrer Träume zu erfüllen. Ich beneide sie etwas, da sie so früh schon den Mut dazu gefunden hat. Bin aber genauso froh, dass ich endlich meinem Herzen folge. „Ich habe oft gedacht dass ich anders bin.“, gesteht sie mir, „Mir sagen viele ich sei verrückt.“. Als sie diese Worte zu mir sagt, kann ich so gut nachvollziehen was sie meint, wie sie sich immer gefühlt hat und auch wie verletzend solche Worte sein können. Ich mag meine „Verrücktheit“ und stehe auch dazu. Nur manche Leute schaffen es, einem das Gefühl zu geben, es sei etwas schlechtest anders zu sein. Und gerade dann, wenn du dich selbst noch nicht so richtig gefunden hast, kann dich sowas ganz schön aus dem Gleichgewicht bringen. Die Meinung von Anderen war mir früher sehr wichtig. Bekommt man ja auch so vorgelebt. Schön angepasst und brav zu sein. Drauf schauen dass man ins Bild passt, gerade als kleines Mädchen. Ich merkte aber schon in der Schulzeit dass ich nicht so war und auch nicht so sein wollte. Damals wollte war mein größter Wunsch „nicht normal werden“. Viele die mich kennen, werden jetzt schmunzeln und applaudieren „Jenny, das hast du geschafft“. Die Frage ist ja nur "was ist normal"? Denn umso mehr ich mich mit Menschen über meine Situation unterhalte, umso mehr sehe ich, dass es vielen ähnlich geht. Nur viele einfach noch nicht ihren Mut und Selbstvertrauen gefunden haben zu sich selbst zu stehen. Es steckt meistens schon längst in uns drin, wir müssen es nur aktivieren.
Am nächsten Tag reist Franzi weiter zu den Gilis und ich nehme mir vor den Tag alleine zu verbringen. Beim Frühstück im Shelters lerne ich zwar zwei nette Jungs kennen, die mir auch anbieten dass ich mich Ihnen anschließen kann. Ich entscheide mich aber dagegen. Denn wann hat man mal die Möglichkeit ein Date mit sich alleine zu habe. Und das an einem so wundervollen Ort wie auf Bali. Und ich kann es auch nur jedem empfehlen. Geht alleine reisen. Alleine der Hinflug macht euch so stark. So komplett auf sich alleine gestellt zu sein, bringt einen einen riesigen Schub Selbstvertrauen. Und wenn man alleine durch die Gegend geht, lernt man so viele tolle Menschen kennen. Entweder sprichst du sie an oder sie dich. Erst gestern traf ich auf einen netten Mann aus London. Er war auch alleine unterwegs. Wir unterhielten uns etwas 15 min auf der Straße, einfach so. Die Leute öffnen sich mehr weil sie vielleicht denken „Ey, da ist noch so eine Verrückte, die alleine durch die Gehend läuft.“ Also packt euren Mut und eure Offenheit, setzt euch in den Flieger und hebt an. Es ist magisch, versprochen.
 
Das Gefühl alleine zu sein verspüre ich seit längerer Zeit nicht mehr. Ich dachte damals immer es läge an der Stadt, meinem Partner oder Freunden. Dass nur sie mir das Gefühl des „Angekommen seins“ geben können. Also dass ich jemanden brauche um nicht alleine zu sein. Aber komischer Weise, egal in welcher Beziehung, Freundschaft oder Stadt ich war, dieses Gefühl von Einsamkeit, konnte niemand stillen. Es verfolgte mich auf Schritt und Tritt. Natürlich war ich nicht alleine wenn ich nachts neben meinem Freund einschlief, aber trotzdem tief in mir drinnen, fühlte ich mich dann doch so verlassen. In Frankfurt hielt ich es nicht einmal einen Sonntag alleine aus, sonder musste immer jemanden um mich herum haben. Heute liebe ich es alleine zu sein. Ich brauche es sogar um mein Gleichgewicht zu finden. Yoga hat dabei eine sehr großen Teil beigetragen. Denn es ist mehr als diese acrobatische Übungen wie viele denken. Es ist viel, viel mehr. Es ist ein Blick in dich selbst und der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und Liebe, mit der wohl wichtigsten Person in deinem Leben - dir selbst. 
 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Martina Dippel (Mittwoch, 23 Mai 2018 19:04)

    Wunderschön geschrieben liebe Jenny. Du kannst sehr stolz auf dich, deine Entwicklung und deinen Mut sein. Folge weiter deinem Herzen. Ich wünsche dir alles Glück, viel Liebe und Freude dabei!

  • #2

    Madlen (Samstag, 26 Mai 2018 22:11)

    Liebe Jenny, ich freue mich sehr, dass du DEINEN Weg gefunden hast. Einiges kann ich bestätigen und bekomme richtig Lust wieder Joga zu machen. Obwohl ich dabei nie so tief in mich geklickt habe, wie du. Für mich war es tatsächlich mehr Sport. Aber die Erfahrungen ins Unbekannte allein zu fliegen bzw zuletzt sogar mit meiner zwei jährigen Tochter, hat mich unheimlich geprägt und stolz gemacht. Das kann ich bestätigen.