Individuell

Alle wollen individuell sein, aber wehe jemand ist anders.

März 2016

"Komm gib auf, komm gibt auf, sagt mir ein Verstand und ich schau aus grauen Augen stumm an die Wand... alles brennt, alles geht in Flammen auf, alle was bleibt sind Asche und Rauch...", ich drehe das Lied von Johannes Oerding laut auf während ich mir 180km/h über die Autobahn brettere. Ich bin auf dem Weg nach Dresden um mit meinen Arbeitskollegen dort die neue Kollektion aufzubauen. Seit ein paar Wochen bin ich neu in der Firma und gehe jetzt schon jeden Tag mit einem mulmigen Gefühl dorthin...

 

Dezember 2015

Ich hatte wieder viel hinter mir gelassen, diesmal war es Frankfurt wovor ich geflüchtet war. Es lagen zwei Jahre nicht angekommen und rastlos sein hinter mir. Die letzen einundhalb Jahre hatte ich eigentlich nur gearbeitet, gegessen und geschlafen. Die Karierreleiter viel zu schnell hoch, gab mir aber ein gutes Gefühl - Bestätigung. Ich war als "einfache" Storemanagerin in einem Modegeschäft gestartet, mein Geschäft war aber von den fast 200 in Deutschland eins der besten zwanzig. Eine große Verantwortung, für jemand der so etwas noch nie gemacht hatte. Aber man wächst ja mit seinen Aufgaben. Das tat ich auch und es wurden immer mehr. Und ehe ich mich versah, leitete ich mehrer Stores, war in einem Weiterentwicklungsprogramm für Regionalmanager, machte einen Englischkurs um dort meine Kenntnisse zu erweitern, ach ja und mein BWL-Studium was ich nebenbei noch  versuchte nicht zu vergessen. Dazu ging ich noch jeden Tag ins Fitnessstudio um meinen Körper im Form zu halten, war ja wichtig für mich und für mein Aussehen, dem ich damals gefühlt alles zu verdanken hatte. "Ist ja klar, sie ist blond und schlank." oder "Hast du gesehen wie der Sales Director sie angesehen hat, die haben doch bestimmt was miteinander...". Solche Sprüche hörte ich damals oft. Viele dachten ich hätte es meinem Aussehen zu verdanken dass ich so erfolgreich war. Leider dachte ich es dann irgendwann selbst. Reduzierte mich selbst auf mein Äußeres.

 

Nur so einfach war es leider dann doch nicht. Es waren eher die anerzogenen Eigenschaften die ich von meinen Eltern mitbekommen hatte. Schon als junges Mädchen musste ich viel im elterlichen Betrieb mitarbeiten, daher kannte ich ein "normales" Familienleben gar nicht und es war für mich normal viel zu arbeiten um meine Anerkennung zu bekommen. Und als Kind sehnst du dich nach Anerkennung von deinen Eltern und die bekam ich nur wenn ich fleißig war. Leider legte ich diese kindlichen Muster lange nicht ab und strebte immer weiter nach Anerkennung um mir meine Selbstbestätigung zu holen. Dass ich sie woanders suchen sollte, erkannte ich erst später.

 

Januar 2016

 

Meine Arbeitskollegin begrüßte mich mit einer für sie herzlich Art als ich im Modezentrum in Hamburg ankam. Ich hatte leider nur die Aufgabe gewechselt, nicht die Branche. Zurück in den Vertrieb war die Devise."Ist es ja nur ein kleines Gebiet, Hamburg und Schleswig Holstein und nicht wie vorher Deutschland, Österreich und Schweiz...", redete ich mir ein als ich die Tür zu meinem neuen Arbeitsplatz öffnete. Meine neue Kollegin zeigte mir alles bevor wir uns an den Schreibtisch saßen und sie anfing mir alles haargenau erklärte. Ich kam mir vor wie dreizehn als sie anfing zu erzählen. Kurz überlegte ich ob sie meinen Lebenslauf nicht gelesen hatte und nicht wusste dass ich Berufserfahrung in diesem Bereich hatte, aber ich wollte am ersten Tag nicht negativ auffallen, also ließ ich ihre Besserwisserheit über mich ergehen. Wir waren fast am Ende des Tages angekommen und meine Ohren rauchten schon vor Input, als sie mir einen Satz an den Kopf warf, für den ich einige Wochen brauchte um ihn zu verstehen und zu verdauen. "Ich möchte dass du genauso wirst wie ich!"

 

"Ich möchte dass du genauso wirst wie ich.", dass ist einer der schlimmsten Sätze, die ich in meinem Leben je gehört habe. Sie nahm mir damit jegliche Individualität. Sie hätte auch gleich sagen können, "So wie du bist, bist du nicht gut. Nur wer so ist wie ich, ist etwas wert.". Ich glaube sie selbst war sich nicht bewusst was für eine Aussage sie damit getroffen hatte, aber für mich ging ein inneres Feuer an. Die sieben Monate die ich in dieser Firma war, waren sieben Monate innerer Kampf. Wenn du jeden Tag mit dem Gefühl aufwachst dass so wie du bist wahrscheinlich nicht ausreicht, dass ist kein gutes Gefühl. Ich war durch meinen Job in Frankfurt eh noch geschwächt, denn dort hatte ich drei Monate zuvor die eigene Notbremse gezogen und hatte gekündigt da ich kurz vor einem Burn-out stand. Ja dieses Burn-out ist für viele nur so eine "Modeerscheinung" und jeder um uns herum hat gefühlt auch einen. Aber anstatt es so runter zu spielen, sollten wir mal anfangen uns und unsere Mitmenschen ernst zu nehmen. Denn es ist nicht normal mit Magenschmerzen oder Herzklopfen in die Arbeit zu geben, seinen Körper vor lauter Stress kaum noch zu spüren, nicht mehr zur Ruhe kommen können ohne Schlafmittel und vor lauter Arbeit nicht mehr zu wissen wo man anfangen soll. Und das alles ohne mal ein Danke zubekommen. "Jenny, du darfst nicht erwarten dass jemand dankbar ist für das was du tust, das ist dein Job, dafür bekommst du dein Geld.", dies sagte mein Bruder mir damals sehr oft. Ich war nicht seiner Meinung. Heutzutage wird uns in unserem Arbeitsleben soviel abverlangt, wir sollen am besten 24 Stunden am Tag erreichbar sein, Überstunden werden mit dem Gehalt abgegolten (lach) und wenn dann doch etwas schief läuft, bekommt man schneller einen auf den Deckel als man gucken kann. Wir beschweren uns über die heutige Jugend dass sie kein "Danke und Bitte" mehr kennt, aber kennen wir es noch? Wann habe wir einem Menschen das letzte Mal "Danke" gesagt oder "Hast du super gemacht?". In meinem letzen Job als Führungskraft habe ich mich jeden Abend bei meiner Mitarbeiterin bedankt mit der ich zusammen gearbeitet habe und wenn jemand etwas gut gemacht hat, hatte ich auch keine Probleme ihr dass zu sagen. Ich weiß für mich dass ich eine sehr menschliche und gute Führungskraft war, wohl manchmal zu menschlich, denn so etwas wird von den höheren Führungsebenen nicht gern gesehen (habe ich für mich herausgefunden). Also konnte ich dort auch wieder nicht sein wer ich bin. Schlussendlich habe ich dann einen endgültigen Strich darunter gezogen, denn wenn ich nicht sein kann wer ich bin, heißt das ich muss mich verstellen, wenn ich mich verstelle, verstecke ich mich und gehe ein. Und das habe ich jahrelang gemacht und bin immer "kranker" geworden und was noch viel schlimmer war, ich wusste irgendwann nicht mehr wer ich überhaupt bin.

 

Ich frage mich ja oft was passieren würde wenn jeder Mensch dass machen würde was ihm Spaß bringt und wo man "ich selbst sein kann". Nur kenne ich kaum Arbeitgeber wo das möglich ist, schade eigentlich. Oder wenn sind es Jobs bei denen man wenig verdient, was dann wieder schwierig ist um sein Lebensunterhalt damit zu bezahlen.  Was ich aber merke seitdem ich nur noch Dinge tue die mir wirklich liegen, bin ich viel produktiver und mit viel mehr Freude dabei. Ich hatte auch schon Jobs bei denen es so war, aber oft war dann da ein Vorgesetzter der wieder meinte dass geht so nicht, denn nach Vorschrift muss man das so und so machen...

Mit meinen Brüdern hatte ich heute eine sehr interessante Diskussion. Es ging um Pflichten im Leben. Mein einer Bruder möchte gerade eine wichtige Entscheidung für sein Leben treffen und steht an einer Kreuzung und weiß nicht wo er abbiegen soll. Sagen wir mal rechts geht es in die Sicherheit, das Gewohnte und auch in den alten Kreislauf aus Pflichten die wir im Leben zu erfüllen haben. Links dagegen ist die Straße kaum befahren und es liegen auch ein paar Äste und Steine um Weg. Es würde ein ganz neuer Weg entstehen, der aber auch Freiheit und Selbstentwicklung mit sich bringen könnte. Er wollte keine Meinung von uns in dem Moment, ich denke jeder der hier schon ein paar Einträge gelesen hat, weiß wofür ich mich entscheiden würde. Auf jeden Fall sah ich dieses Wort Pflichten groß dastehen und überlegte was für Pflichten wir im Leben haben. Meine anderer Bruder meinte schnell dass wir uns an Vereinbarungen und Pflichten zu halten haben. Klar, wenn wir eine Vereinbarung treffen, dann sollten wir unser Wort auch halten, aber was meinen sie mit Pflichten...

Meine Antwort war dann doch schnell gefunden: "Die einzige Verpflichtung die wir im Leben haben, haben wir uns selbst gegenüber. Und diese ist es verdammt nochmal glücklich zu sein, denn diese Leben leben wir nur einmal."

 

Im Artikel "ALLEINE" geht es ja schon darum dass mir viele Menschen immer das Gefühl gegeben haben ich sei "anders" oder "verrückt". Früher empfand ich es als sehr verletzend und habe mich selbst dafür fertig gemacht. Heute stehe ich dazu. Für viele mag mein Leben nicht so aussehen wie das typische Leben einer 35ig jährigen Frau. Und genau darauf bin ich stolz. Denn ich habe es geschafft mich von allen gesellschaftlichen Zwängen zu befreien und mein ganz eigenes, individuelles Leben zu erschaffen. Ich liebe es. Und was ich noch mehr liebe, zu allen meinen Seiten und Gefühlen zu stehen. Diese Woche war das Thema meiner Yogastunden "Gefühle" und dass man sich gerne jeden Tag bewusst machen darf wie man sich gerade fühlt.  Sehr spannend und man lernt sich selber wieder besser kennen. Meine Gefühle schwanken am Tag sehr oft, wer mich kennt, auch manchmal minütlich. Früher habe ich gerade die negativen immer hinter einer Maske versteckt, heute steh ich zu jedem einzelnen. Denn wenn wir uns unserer Gefühle bewusst werden, dann können wir sie auch beeinflussen. Denn wenn ich mich z.B. ängstlich fühle, dann überlege ich wie ich mich stattdessen fühlen möchte, nämlich "mutig". Und wenn ich diesen Gedanken manifestiere, dann fühle ich mich kurze Zeit später auch mutig. Probiert es aus!

 

Heute ein kleine Buchtipp am Ende, ich finde jeder sollte das Buch "Das Cafe´  am Rande der Welt" von John Strelecky gelesen haben. Denn da geht es genau darum, zu finden was einen glücklich macht und wo man so sein kann wie man ist. Bei mir gibt es auch heute immer noch mal Tage an denen ich zweifle, aber ich bin immer noch glücklich den steinige Weg gegangen zu sein, denn der brachte mich auf direkten Weg zu mir selbst. Als ich heute morgen aufgewacht bin, fühle ich mich seit sehr langer Zeit wieder total wohl in meinem Körper. Gerade durch die Essstörung hatte ich den Bezug dazu komplett verloren und wie es bei so einer Sucht ist, du wirst sie dein lebenlang nie wirklich los. Als meine Freundin und Sousister Tessa vorhin im Park dann auch noch meinte wie schön ich sei, äußerlich und innerlich, da ging mein Herz auf. Endlich habe ich nur noch Menschen um mich die mich dafür lieben so wie ich bin. Mit allen guten und nicht so guten Seiten. Danke liebes Leben dafür.